HÄTTE...WÜNSCHTE...

Einen sonnigeren und wärmeren Herbsttag hatte er in seinen 27 Jahren nicht erlebt. Das Wetter passte eher ins Plakat eines Reisebüros als zu einem Friedhof, wo gerade eine junge Frau beigesetzt wurde. 

Sie war ein Sonnenschein. Ihr Anblick zwang einen zu lächeln und dankbar für das zu sein, was man schon hatte. Vielleicht passte das Wetter doch noch, dachte er, vielleicht blickte sie von irgendwo da oben hinunter und wollte so alle aufheitern. Aber heute würde ihr das nicht gelingen. Denn ihre Abwesenheit schmerzte jedem hier, und ihm ganz besonders.

Hinter einem großen Baum versteckt beobachtete er still und heimlich die trauernde Familie, Freunde und Bekannte, die Abschied nahmen. Wie gerne er sich dazugestellt und ihren Namen so laut geschrien hätte in der Hoffnung, sie wie durch ein Wunder zu wecken… Er wünschte, es wäre alles anders gekommen. Hätte… wünschte… 

Er war immer noch ein Feigling. Seine Schüchternheit und Unsicherheit kosteten ihn alles, was ihm wichtig war.

“Wirklich ein Jammer, wenn Leute vor ihrer Zeit gehen müssen”, sagte eine Stimme und riss ihn aus seinen Gedanken. Eine ältere Dame, ganz in Schwarz gekleidet, stand neben ihm und starrte in die gleiche Richtung wie er.

“Man weiß bis heute nicht, was sie hatte.  Ein Arzt vermutete dies, ein anderer jenes, und so im Kreis. Wirklich ein Jammer. Wenn Sie mich fragen, war es sicherlich eine Herzensangelegenheit - ein seelisches Dilemma, denn das sehen die Ärzte nie. Das zeigt kein CT und kein Blutbefund.”

Schweigend starrte er wieder geradeaus in der Hoffnung, der Winde würde seine Tränen trocknen bevor sie sich zeigeten. 

Was ihr wohl widerfahren ist? Er hätte den Kontakt zu ihr nie abbrechen dürften. Hätte ihr schreiben, auf sie aufpassen sollen. Er wünschte er hätte ihr sein Herz ausgeschüttet.

Hätte… wünschte… 

Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig als sie wie bisher zu lieben: still und heimlich, aus der Ferne.