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Tänzer

CASTING

Genre: Nachtfalter Bonus-Story

Autorin: Rhea Ross | Maresa May

Dass es so schwer sein würde, zwei gute Tänzerinnen zu finden, hatte Andreas nicht gedacht. Mit den drei, die schon unter Vertrag waren, hatte er riesiges Glück gehabt, das wurde ihm langsam bewusst. 

“Meg, du musst mir noch zwei Mädchen beschaffen!”, platzte es aus ihm heraus, als er in ins Atelier stürmte und Meg bei ihren Näharbeiten störte. Sie nahm den rechten Fuß vom Pedal der Nähmaschine und diese verstummte. Verwirrt blickte sie Andreas an. “Wie jetzt? Jetzt sofort?!”

“Je schneller desto besser”, antwortete Andi und ließ sich auf den freien Sessel vor ihm fallen. “Drei finde ich doch zu wenig für die große Eröffnung.”

Meg stand auf, um sich den frischen, hausgemachten Jasmin-Eistee in ihren Becher zu gießen. Neuerdings experimentierte Erkan an aphrodisierenden Eistee-Rezepturen, die die Gäste in eine wollüstige Ekstase versetzen sollten. Leider blieb der erwünschte Effekt aus und so musste Meg diesen gewöhnlichen Eistee trinken, um ihn nicht einfach so wegzuschütten. Sie goss auch für Andi ein Glas voll und stellte es vor ihn hin. “Trink was und erzähl mir, was passiert ist.”

“Ich hab ein Casting arrangiert”, gestand Andreas. Seinem Gesichtsausdruck zufolge lief es nicht wie geplant.

Meg grinste. “Wo hast du inseriert?”

“Ist das denn wichtig?”

“Ja”, erwiderte Meg bestimmt. Sie ahnte schon wo. 

“In der größten Tageszeitung des Landes.”

Jetzt musste Meg einfach lachen. In einer gratis Boulevardzeitung zu inserieren konnte nur schief gehen. Was für eine Vorstellung! Sie würde diese Anzeige finden und sie einrahmen. Herrlich. 

“Was hast du denn in die Anzeige geschrieben?” 

“Dass ich Tänzerinnen suche. Ich habe natürlich einen falschen Namen angegeben, um ja nicht die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.”

“Und wie hast du dich genannt?”

“Anto.”

“Anto!”, rief Meg überrascht.

“Ja. So hieß mal ein Schulfreund von mir. Er kam vom Balkan…”

Andi schien plötzlich ein Licht aufzugehen. “Ah deshalb wurde ich öfters in einer fremden Sprache angeredet! Ich wiederholte immer wieder, dass ich sie kein Wort verstehe, aber das war ihnen egal!”

Meg lachte so viel, dass ihre Augen tränten. Andreas geriet immer in Situationen, die es nicht mal in Filmen gab. Eines Tages sollte man einen Film über ihn drehen, dachte sie sich. 

“Jetzt hör auf zu lachen und hilf mich!”, regte er sich auf. Wie zu erwarten blieb er angespannt und fand das alles nicht so lustig wie Meg. 

“Ich kann nicht. Allein schon die Vorstellung, wie du dort sitzt, allein, und irgendwelche Leute dir vortanzen…”

Andreas nahm einen Schluck von seinem Eistee, spuckte ihn aber sofort wieder ins Glas zurück.

 “Was tut Erkan nur da rein?! Es schmeckt widerlich! Ich sollte dem mal nachgehen, sonst vergiftet er uns noch!”

Meg ignorierte seine Bemerkung, da er generell alles, was bitter schmeckte, nicht mochte.

Sie versuchte, sich zusammenzureißen. 

“Bitte, erzähle weiter. Wie lief das Casting?”

“Es war eine reine Katastrophe!”, erzählte Andi genervt. “Es haben sich insgesamt mehr als zwanzig Leute gemeldet! Kannst du dir das vorstellen?”

Meg schüttelte ihren Kopf. Wenn sie ihrer Fantasie freien Lauf ließ, würde sie noch vor Lachen sterben. Auf der Stelle. 

“Hast du dir alle zwanzig angeschaut?”

“Bist du wahnsinnig! Nach der Vierten hab die Kurve gekratzt!”

Meg prustete los. Da Andi fast keine Details in der Anzeige angegeben hatte, war jeder aufgetaucht, der etwas mit Tanzen zu tun hatte. 

“Wärst du mit mir dort gewesen, wäre dir jetzt nicht nach Lachen zumute!”, bemerkte Andi trocken. “Am Gang sind die mir alle hinterher gelaufen! Ein bärtiger Mann hatte selbstgebrannten Schnaps mit, um mich zu bestechen!  Eine ältere Dame, die ich fast niedergerannt hatte, bestand auf einen Walzer mit mir!”

“Warte… haben die etwa vorgetanzt?”

“Zum Glück nicht! Die waren nur da, um ihren Freunden beim Casting Glück zu bringen - oder mich zu bestechen!”

“Und die,  konnten sie tanzen?”

Andi schüttelte enttäuscht seinen Kopf.

“Keine einzige von ihnen.”

“Und dann hat es dir gereicht und du bist abgehauen?”

“Nach der Vierten konnte ich nicht mehr. Sie schien freundlich und hübsch. Aber dann ist sie zu mir gekommen, hat mit ihren Fingern auf mein Gesicht gezeigt und immer wieder wiederholt, dass ich sehr trockene Haut habe. Sie stelle selbst Cremen her und ich sollte eine kaufen, denn es geht nicht, dass ich mit so einem Gesicht herumlaufe!”

Meg schüttelte ihren Kopf. Andi war gesund und gepflegt. Ihm fehlte nichts.

“Ich bin am Verzweifeln, Meg. Ich brauche nur zwei Mädchen, die zu unseren drei passen! Mehr will ich nicht!”

“Beruhige dich, du kriegst das wieder hin”, ermutigte ihn Meg und setzte sich wieder aufrecht hin. Sie dachte kurz nach. “Wie wäre es denn, wenn du einen Poledance-Kurs besuchst?”

Verwirrt neigte Andi seinen Kopf. Als sich sein Mund zu einem Lächeln formte, ahnte sie, dass gleich eine anzügliche Aussage kommen könnte, und unterbrach ihn bevor er den Mund aufmachte.

“Dann gehe auf eine Modenschau. Oder in einen Club. Besuche eine Erotikmesse… Mache etwas, wo du potentielle Mädchen treffen könntest. Dann kommst du in ein Gespräch mit ihnen und steckst ihnen vielleicht deine neue, heute frisch aus dem Druck gelieferte, Visitenkarte zu!” 

Megs Augen funkelten als sie aus der Schublade eine kleine Kartonbox entnahm und sie vor Andi hinstellte. 

Ungeduldig öffnete Andi die Box und hielt eine mit Gold verzierte Visitenkarte in seinen Händen, auf der nur eine Telefonnummer stand. Nichts mehr. Kein Foto, keine E-Mail, nichts.  Auf der Rückseite funkelte eine große, goldene Sieben.

“Geil!”, kommentierte Andi und steckte sich sofort mehrere Karten ein. “Ich lass dich dann weiter arbeiten.”

“Berichte mir, ob du Erfolg hattest!”, rief ihm Meg grinsend zu, als er das Atelier wieder verließ. 

Sie liebte ihren Job, die Menschen und diesen verfluchten Eistee, der gute Laune verbreitete. 

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